Das ABC-Advent-Event (T – Z)

T – Transformation
In der menschlichen Erfahrung ist die Tatsache, dass es immer Veränderungen geben wird, wohl das beständigste was es gibt. Im individuellen Leben sind das die zu bearbeitenden Themen des Alltags oder die Neuigkeiten, wo es wieder, über wen auch immer, „Gossip” gibt. Aber auch gesamtgesellschaftlich tendiert die Menschheit dazu, immer wieder transformative Erfahrungen zu sammeln. Einzelne Erfindungen, von der Eisenbahn bis zum Internet, veränderten die Lebenswelt der Menschen grundlegend. Es ist also leicht nachzuvollziehen, warum das Thema „Transformation“ für die Wissenschaft und die Philosophie ein interessantes Thema ist. Wie funktioniert dieser Wandel? In welcher Richtung entwickelt sich dieser? Wie kann man Einfluss auf den Wandel haben? Was für Einfluss hat die Forschung über Wandel auf den Wandel selbst? All diese Fragen werden von der internationalen und interdisziplinären Arbeitsgruppe Transformatives Forschen untersucht. Um es mit den Worten von Prof. Schellhammer zusammenzufassen:
„Transformatives Forschen zielt auf Veränderungsprozesse in mindestens drei Richtungen: Erstens möchte es bereits durch den Forschungsprozess (und nicht erst durch dessen Ergebnisse) Wandel bewirken. Zweitens setzt sich das Forschungsvorhaben selbst durch die Auseinandersetzung mit konkreten Sachfragen der Veränderung aus. Diese wird kontinuierlich auf einer Meta-Ebene kritisch begleitet. Drittens gehen die Forscher:innen selbst anders aus diesem Geschehen hervor.“
Die Arbeitsgruppe steht in einer langen Tradition, welche die Philosophie als aktive Kraft im gesellschaftlichen Wandel ansieht. In ihrem Beitrag „Die Philosophie als transformative Kraft? – Ein Diskurs“ knüpft Rebekka Epple an die 11. These von Karl Marx über Feuerbach an: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt darauf an, sie zu verändern“ und stellt eine offene und dialogische Praxis der Philosophie vor, die durch ihr Handeln die Gesellschaft und Kultur prägt.
U – Ungewissheit
Dem Blick in die Vergangenheit folgt immer der Blick in die Zukunft. Doch dieser ist von Ungewissheiten geplagt. Schon seit ca. 1000 Tagen wütet der Krieg in der Ukraine und es ist das dritte Mal, dass Familien Weihnachten im Krieg feiern müssen. Sie wissen nicht, wie es weiter mit sich selbst und ihrem Land geht. In Syrien wurde das Regime von Assad gestürzt, doch wie es genau weitergeht ist unklar. Wie die HTS-Miliz die Übergangsregierung gestalten wird und wie viel Freiheiten sie den syrischen Bürger:innen ermöglichen will, dass weiß niemand. Aber auch in Amerika sitzen viele Familien mit Sorgen für die Zukunft unterm Weihnachtsbaum. Den Trump hat für seine ersten Tage schon radikale Schritte angeordnet. Er wolle am ersten Tag „Durchführungsverordnungen unterzeichnen, um die sexuelle Verstümmelung von Kindern zu beenden und Transgender aus der Armee und aus unseren (…) Schulen zu verbannen.“1 Was das für die betroffenen Personen bedeuten soll, ist nur zu ahnen. Und auch in Deutschland steht die vorgezogene Bundestagswahl direkt vor der Tür. Und die Notwendigkeit eines Fairness-Abkommen für den Wahlkampf ist die beste Andeutung, auf was sich die deutschen Bürger:innen in den nächsten Wochen einstellen können. Es bleibt nur zu hoffen, dass zwischen den Jahren genug Kraft getankt werden kann, um all diesem Irrsinn die Stirn bieten zu können.
V – Verantwortung
Für gewöhnlich wird Verantwortung mit einer Art Delegieren oder Verpflichtung in Verbindung gebracht. Wenn ein Projekt unter meiner Verantwortung steht, liegt es in meiner Hand, ob das Projekt gut oder schlecht ausgeht. Doch liegt die Kontrolle eines Projektes wirklich immer in der Hand der verantwortlichen Person?
Verantwortung lässt sich auf das im 15. Jahrhundert entstandene Wort „verantwürten“ zurückverfolgen, welches sich mit „als Angeklagter zu verteidigen“ übersetzten lässt.2 Verantwortung zu tragen bedeutet somit auf eine gewisse Situation die Antwortmöglichkeiten zu bestimmen. Entscheidend ist jedoch, dass eine Antwort immer auf etwas antwortet. Eine Antwort entsteht nicht einfach aus einem leeren Raum, sie muss immer einem gewissen Impuls folgen. Ich antworte immer auf etwas. Und dieses etwas, worauf geantwortet wird, ist der Antwort fremd. Dieses Fremde bestimmt in gewissen Zügen die Antwort. Durch die Frage z. B. entscheidet sich, auf was ich antworte. Das Einzige, was in der Möglichkeit des antwortenden liegt, ist die Art und Weise, wie er antwortet. In den Worten Waldenfels, von wem diese Perspektive auf das Antworten stammt:
„Antworten bedeutet generell, daß ich anderswo beginne, wo ich nie war und im vollen Sinne nie sein werde, was zugleich besagt, daß ich das Antworten nie gänzlich in der Hand habe.“3
Diese neue Perspektive auf Verantwortung betont den relationalen Gedanken. Egal ob es die Verantwortung von Politiker:innen, von Führungspersonen oder in einer Beziehung ist, Verantwortung zu übernehmen bedeutet nicht, alles zu kontrollieren und das Fremde anzueignen, sondern diesem seinen Platz zu lassen und auch Kontrolle abzugeben. Verantwortung sützt sich somit auf das Vertrauen in anderen und ist dadurch nie etwas, was eine Person alleine haben kann.
W – Wabi Sabi
Das Schönheitsideal bei uns im Westen kann man durch drei Begriffe auf den Punkt bringen. Perfektion, Einheitlichkeit und genaue Symmetrie. Diese Eigenschaften manifestieren sich besonders in den verkauften Produkten unserer Gesellschaft. Ob Autos, Möbelstücke oder selbst unser Essen, alle unterliegen unserem Schönheitsideal. Zudem müssen alle Produkte genau gleich reproduzierbar sein. Ob man Pommes im McDonalds in München oder in Tokyo isst, es wird erwartet, dass es immer gleich schmeckt. Dieser Idee steht die japanische Philosophie „Wabi Sabi“ entgegen. Stark vom Taoismus und Zen-Buddhismus inspiriert, stehen die Imperfektion, die Vergänglichkeit und das Ideal, im Einklang mit der Natur zu leben, im Zentrum dieser Philosophie. Ein deutliches Beispiel des „Wabi Sabi“ ist die Handwerkkunst des „Kintsugi“. Zerbrochene Keramik wird repariert, aber anstatt die Risse des zerbrochenen Stückes zu kaschieren, werden diese durch eine Gold- oder Silberlackierung hervorgehoben. Es wird nicht versucht, einfach der vorherige Urzustand des Keramikstückes wiederherzustellen, sondern den Bruch in das neue miteinfließen zu lassen. Es wird somit eine Möglichkeit mit dem Umgang von Brüchen proklamiert. Wenn innerhalb eines Bruches die Identität einer Person stückweise zerbricht, wie z. B. bei einer Trennung, liegt das Ziel nicht darin, einen möglichst perfekten und glatten Wiederaufbau dieses Teiles zu ermöglichen. Der Bruch selbst soll Teil der neuen Identität werden. Zudem vertritt das „Wabi Sabi“ die These, in diesen, von Brüchen durchzogenen Identitäten, eine Schönheit zu sehen. Denn genau diese Brüche tragen einen großen Teil dazu bei, das Individuum zu dem zu machen, was es ist.4
X – X-Mas
Wie stellen Sie sich den Heilig-Abend vor? Vor allem den Weihnachtsbaum, beschmückt mit Glaskugeln, Lichterketten und begleitet von ein paar glitzernd eingepackten Geschenken? Oder auch den Geruch von besonders leckerem Essen? Viele haben auch eigene Traditionen, wie ein spezifisches Brett-Spiel oder ein bestimmtes Ritual, um die Geschenke aufzumachen. Aber vor allem steht das Beisammensein der Familie im Vordergrund. Dies wird auch in Werbungen oft mit einer harmonischen, sich liebenden und lächelnden Familie dargestellt. Jeder freut sich inbrünstig über die Geschenke des anderen und alle haben einfach die beste Zeit ihres Lebens. Es entsteht das Bild, dass an Weihnachten die Familie einfach harmonisch agieren muss. Doch leider ist dies nicht immer der Fall. Für viele bedeutet Weihnachten Streit-Gespräche, Öffnungen alter Wunden oder sich den diskriminierenden Kommentaren der Onkel und Tanten zu stellen, die den vom Norm abweichenden Lebensentwurf nicht verstehen können. Die Standart-Antwort lautet, dass doch genau dann, wenn es Risse in den Beziehungen gibt, Weihnachten genutzt werden kann, diese auszusprechen und zu heilen. Und ganz falsch ist dieser Ratschlag nicht. Weihnachten kann die Zeit sein, sich nochmals ernsthaft seinen Verwandten zuzuwenden. Doch das ist keine Garantie, dass sich diese auch darauf einlassen werden. Manche Beziehungskonstellationen produzieren nichts anderes als Schmerz. Es gibt Brüche, die nicht wieder zugenäht werden können, und Familien, die kaputt sind. Für all diejenigen, die in solch einer Situation stecken, wünsche ich Geduld und Stärke. Nur weil die Gesellschaft zwanghaft ein Bild der glücklichen Familie vermarktet, heißt das nicht das ihr daran schuld seid, falls dies nicht bei euch zutrifft. Diesem Konflikt widmet sich Prof. Bordt in seinem Werk „Die Kunst die Eltern zu enttäuschen“. Auch ein perfektes spontan Weihnachtsgeschenk ;).
Y – Youtube
Die Video-Plattform „Youtube“ braucht wohl keine Einleitung. Seit Beginn der Plattform wurden 10 Milliarden Videos hochgeladen.5 Da der Durchschnitt pro Video 2 Minuten beträgt, macht das ungefähr 20 Milliarden Minuten Videomaterial. Dafür bräuchte ein Mensch 38.026 Jahre und es wird immer weiter produziert, egal was und egal warum. Youtube kann als Symptom unsere Gesellschaft angesehen werden. Die Plattform ist voller nützlicher Informationen. Besonders im Heimwerkeln gibt es wohl keine besseren Anleitungen als Youtube, aber auch für jedes Instrument gibt es „Beginner Tutorials“. Zudem können Waren „reviewed“ werden, bevor man sie kauft und von der Bildungsmöglichkeit auf Youtube will ich gar nicht anfangen. Es gibt Video-Essays, die sind besser recherchiert als manche Zeitungsartikel, es gibt News-Channels, den Bundestag-live und Millionen weitere. Dabei ist das Problem, dass diese Videos unter einer Schicht komplett nutzlosen Videos vergraben sind. Das „Scrollen“ durch Youtube fühlt sich manchmal an wie ein schmaler Pfad durch ein Moor, da nur ein Klick auf ein süßes Katzenvideo einen in einen stundenlang Loop ziehen kann. Gleichzeitig ist aber die Einteilung von „nutzvollen“ Content und „nicht-nutzvollen“ Content ebenso gefährlich. Kulturelle Güter werden ähnlich wie auf einem Marktplatz nach ihrem Nutzen bewertet, der darin besteht, die Erfüllung der konsumierenden Person weiter voranzutreiben. Am ironischsten Manifestiert sich dies in Youtube-Videos, die erklären, wie es gelingt, mit dem Youtube konsumieren aufzuhören. Ob je durch eines dieser Videos jemand aufgehört hat Youtube zu schauen, das ist zu bezweifeln.
Z – Zukunft
Zukunft, dass ist die Zeit, die noch kommt. Einerseits ist sie voller Möglichkeiten, andererseits nicht vollkommen frei, denn Zukunft folgt immer nur auf eine Vergangenheit, die auch in der Zukunft unterschwellig mitschwingt. 2024 wurden am ZGF gleich mehrere Projekte abgeschlossen. Von FLXSynErgy, über das SeBi-Projekt bis hin zu Epistemic Violence and Injustice in Philosophy. Für uns bedeutet das erstmal ein wenig durchatmen und wieder Energie sammeln. Doch gleichzeitig heißt es, sich der Zukunft zu stellen. Was werden die nächsten Projekte sein? Welche Themen sollten bearbeitet werden? Was für Möglichkeiten haben wir? All diese Fragen werden in der Zukunft auf uns zukommen. Doch vor allem wollen wir auch in Zukunft weiter mit euch zusammen interessante Themen beleuchten, uns schwierigen Fragestellungen gemeinsam entgegenstellen und im Prozess etwas näher zusammenrücken. Das ganze ZGF-Team wünscht euch allen schöne Weihnachten, einen guten Rutsch und wir sehen uns alle zusammen in der Zukunft.
Vielen Dank für euer Interesse
Euer ZGF-Team
- https://www.welt.de/politik/ausland/article254953916/Trump-will-Transgender-Wahnsinn-am-Tag-seiner-Amtsuebernahme-beenden.html ↩︎
- „Verantwortung“, in: Wolfgang Pfeifer et al., Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/etymwb/Verantwortung>, abgerufen am 23.08.2024 ↩︎
- Waldenfels, Bernhard. 2019. Erfahrung, was zur Sprache drängt. Suhrkamp, 77f ↩︎
- https://www.japandigest.de/kulturerbe/brauch/wabi-sabi/ ↩︎
- https://www.intotheminds.com/blog/de/forschung-youtube-stats/?utm_source=chatgpt.com ↩︎
OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
Simon Brandt (23. Dezember 2024). Das ABC-Advent-Event (T – Z). Kontrapunkte. Abgerufen am 15. Februar 2025 von https://doi.org/10.58079/12zr5