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Resonanz als Rebellion – Ein Plädoyer für echte Verbindung

Nelly Aran

Ein Mensch, der sich aus einer Haltung der Liebe heraus entscheidet, sich selbst und anderen mit Wertschätzung zu begegnen, kann weder sich noch andere ausbeuten. Er will weniger Schaden anrichten, sich nicht aus falschen Gründen verletzen und seine Entscheidungen im Einklang mit Mitgefühl und Selbstmitgefühl treffen. Solch ein Mensch strebt nach authentischen Verbindungen, nach Beziehungen, die um ihrer selbst willen gepflegt werden – nicht aus wirtschaftlichen oder strategischen Gründen.

Wer mit dieser Haltung durchs Leben geht, bleibt offen und neugierig. Er schafft die Grundlagen dafür, dass Resonanz entstehen kann. Resonanz, ein Zustand, in dem Begegnungen lebendig sind und das Leben voller unerwarteter Wunder bleibt. Hartmut Rosa beschreibt Resonanz als etwas, das sich nicht erzwingen oder festhalten lässt, sondern unverfügbar ist, gleich dem Schnee: Wir freuen uns über ihn, doch können wir ihn weder herbeirufen noch dauerhaft konservieren. Ein im Tiefkühler aufbewahrter Schneeball verliert seine Beschaffenheit. Er wird zu einem starren, leb- und resonanzlosen Eisblock. Wie viele Kinder haben bereits versucht, Schneebälle in der Tiefkühltruhe aufzubewahren, um hinterher festzustellen, dass sie sich in harte Klumpen verwandeln, die mit Schnee nicht mehr viel gemeinsam haben? Der konservierte Schnee hat seinen Zauber verloren. Er ist nicht mehr lebendig, nicht mehr flüchtig, nicht mehr von dieser besonderen, einzigartigen Textur, die ihn ausmacht. Er hat sein Wesen verloren. Das, was ihn ausmacht.

Auch wenn Rosa die Unverfügbarkeit der Resonanz betont, bin ich davon überzeugt, dass wir die Bedingungen verbessern können, in denen Resonanzerlebnisse möglich sind. Erlebnisse, in denen es zwischen uns und der Welt fließt. Dazu gehört, unsere Mitmenschen wirklich wahrzunehmen und uns berühren zu lassen. Das Gegenteil von Resonanz ist Entfremdung. Entfremdung macht uns taub. Sie lässt uns die Verbindung zur Welt verlieren, sie isoliert uns, trennt uns von uns selbst und vom größeren Ganzen. Wir sehen die Natur, wir führen Gespräche, wir erleben unseren Alltag. Und doch berührt uns nichts mehr. Die Welt bleibt stumm.

Ein Mensch, der sich gegen Entfremdung und für Resonanz entscheidet, spürt, wenn er nur genutzt wird. Er erkennt, wenn Beziehungen aufgesetzt oder unaufrichtig sind. Und das tut weh. Denn wahre Resonanz bedeutet, in einer Welt voller Effizienz- und Optimierungszwänge bewusst den Weg der Wahrhaftigkeit, der Hingabe und der Offenheit zu wählen. Das ist Rebellion in einer Gesellschaft, die Funktionieren und Gewinnmaximierung belohnt.

Hier liegt ein oft missverstandener Konflikt zwischen Generationen: Junge Menschen haben gelernt, sich nicht für materielle Güter oder Status ausbeuten zu lassen. Sie konnten bei ihren Eltern beobachten, wie wenig Wertschätzung ihnen dafür zuteilwurde, dass sie sich für Wirtschaftswachstum und eine bessere Zukunft aufgeopfert haben. Oft, ohne mit ihren eigenen Bedürfnissen in Verbindung zu sein. Die jungen Generationen achten, so heißt es, mehr auf sich selbst, auf ihre Grenzen und auf ihr Wohlbefinden. Doch sie treffen auf eine Arbeitswelt, die ihre Kreativität und Innovationskraft oft nur als Mittel zur Profitsteigerung nutzen will.

Das wird beispielsweise besonders deutlich, wenn Weiterbildungskurse auf der Business-Plattform LinkedIn damit beworben werden, dass Unternehmer:innen lernen, wie sie die Kreativität und Innovationskraft der Generation Z “nutzen und gewinnbringend ins Unternehmen einbringen”. Der junge Mensch, der aufgeklärt dazu erzogen wurde, kritisch zu denken und der ein gesundes Selbstwertgefühl hat, fragt sich zurecht, um welchen Gewinn es sich handelt. Wem dieser Gewinn dient und wem er schadet. Formulierungen wie diese geben ihm das Gefühl, ein Mittel zum Zweck zu sein. Da ist keine Begegnung auf Augenhöhe und keine Verbindung.

Wer die Erfahrung macht, dass Kreativität und Mensch objektifiziert und nutzbar gemacht werden, schaut zweimal hin. Das Erniedrigungspotenzial in den Begriffen Human Ressource und Humankapital ist offensichtlich. Gleichzeitig sind es Worte, die selbstverständlich in unserem Alltag genutzt werden und für die meisten Menschen unproblematisch sind. Dennoch spiegeln sie die Objektifizierung und mangelnde Beziehungsqualität im Berufsalltag vieler Menschen wider.

Und genau hier entsteht ein Bruch: Die junge Generation fragt sich zu Recht, ob ihr kreatives Potenzial wirklich für eine bessere Welt genutzt wird oder lediglich zur Effizienzsteigerung eines Systems, das vielen mehr schadet, als nutzt. Hier geht es nicht um Kapitalismuskritik. Es geht um die Frage, wie wir echte Verbindungen gestalten und wie Sprache dazu beiträgt. Es geht um die Haltung, die wir kultivieren und mit der wir unseren Mitmenschen in der Arbeitswelt und im Privaten begegnen. Behandeln wir einander wie (Mit-)Menschen oder betrachten wir einander als Ressource, als Mittel zum Zweck? Wer sich für Resonanz entscheidet, ist kein Verweigerer, sondern jemand, der ein klares “Ja” zu sich selbst, zu einem gesunden “Ich” in einem gesunden “Wir” setzt. Diese Menschen spüren instinktiv, dass sie nicht in entfremdete Beziehungsstrukturen eintreten können, ohne sich selbst zu verlieren.

Hier treffen Resonanz und Rebellion aufeinander: Wer einmal erlebt hat, was es bedeutet, wirklich in Verbindung zu sein – mit Menschen, mit der Natur, mit sich selbst –, für den gibt es kein Zurück in die Taubheit. Es tut weh, sich von der Welt abzuschotten. Es schmerzt, nichts mehr zu fühlen. Keine innere Berührung, keine Bewegung, keine Resonanz. Und genau darin liegt der Schlüssel zur Zukunftsgestaltung: radikal in gesunde Beziehungen gehen. Sich bewusst gegen Handlungen entscheiden, die sich schädlich auf die Welt und auf einen selbst auswirken. Zuhören, sich öffnen, Mitgefühl leben und auf dieser Basis etwas erschaffen, das heilt, das verbindet, dass wirklich Wert hat.

Die Zukunft gehört denen, die sich gegen Abstumpfung entscheiden.

Wer sich für Resonanz entscheidet, entscheidet sich bewusst gegen die Bequemlichkeit der Taubheit. Er wählt ein Leben, das nicht nur reibungslos funktioniert, sondern eines, das wirklich lebendig ist. Das bedeutet auch, die Schmerzen des Wachseins zu ertragen: die Unruhe, die Unsicherheit, die Herausforderungen echter Beziehungen. Doch genau darin liegt die Kraft, die Zukunft zu gestalten: nicht aus einer Logik der Optimierung heraus, sondern aus einer Logik der Berührung.

Wir stehen vor der Wahl: Marschieren wir im Gleichschritt der Effizienz oder erheben wir die Stimme für ein Miteinander, das tiefer geht? Lassen wir die Welt weiter verstummen oder öffnen wir uns für ihr Echo? Wer sich für Resonanz entscheidet, trägt die Trotzhoffnung in sich. Und genau diese Hoffnung wird der Motor jeder echten Veränderung sein.

Hinweis zur Sprache: Um einen inklusiven Ausdruck zu finden, habe ich bewusst den Begriff “Mensch” gewählt. Dass dieser Begriff im Maskulin steht, möge man mir verzeihen – oder mit einem Augenzwinkern hinnehmen.


Sabrina Kofahl ist Alumna der Hochschule für Philosophie München und arbeitet aktuell als freie Rhetorikerin sowie Projektmanagerin für Zukunfts- und Innovationsgestaltung. Sie studiert im Master Speech Communication and Rhetoric an der Universität Regensburg. Zuvor war sie am Fachbereich Medienethik tätig und organisierte zahlreiche Veranstaltungen. Ihr Interesse gilt der Wechselwirkung von Rhetorik und Ethik im unternehmerischen Handeln, insbesondere der Rolle von Sprache als transformative Kraft für gesellschaftlichen Wandel. Derzeit lebt und arbeitet sie in Leipzig. 


OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
sabrinakofahl (3. Februar 2025). Resonanz als Rebellion – Ein Plädoyer für echte Verbindung. Kontrapunkte. Abgerufen am 15. Februar 2025 von https://doi.org/10.58079/138bv


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